Die Zuger Hexenjagd von 1737

Die letzte Hexenhinrichtung in Luzern datiert vom Jahre 1675. Dann war in Luzern lange Zeit Ruhe bis sich 1737 in Zug eine 16-Jährige selbst angezeigt und auch Leute aus dem Luzernerland denunziert hat. Diese Selbst-Denunziation führte zu einer eigentlichen Hexenhysterie, die acht Menschen das Leben kostete, zwei Menschen in die Invalidität führte und einem Dutzend Personen den guten Ruf kostete.

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Beispielbild der Streckfolter, Wickiana, Zentralbibliothek Zürich

In Zug herrschten zu dieser Zeit politische Wirren, es grassierte eine Viehseuche und im Mai 1737 ging ein zerstörerischer Hagelschlag nieder. Noch ein Jahrhundert zuvor, hätte man dafür eine Hexe gesucht, gefunden und verantwortlich gemacht. Doch im Jahre 1737 wurden die Behörden nicht von sich aus aktiv. Vielmehr brachte die Selbstanklage einer jungen Frau den Stein ins Rollen.

In der Stadt Zug lebte ein Josef Kalbacher aus Salzburg, ein geduldeter Fremder. Von Beruf war er Schleifer und zog auf Jahr- und Wochenmärkten umher. Er war mit Maria Elisabeth Heinzer aus Arth verheiratet und die beiden hatten eine 16 jährige Tochter mit Namen Katharina, genannt die "Schlifferlin".

Einen Teil ihrer Jugend verbrachte Katharina Kalbacher bei einem Bauern namens Josef Kopp in Beromünster. Bei dessen inzwischen verstorbener Ehefrau hätte sie auch das Hexen gelernt, sagte sie später aus. In Beromünster muss sie wohl auch die Magd Elisabeth Kopp kennengelernt haben, die sie später denunzierte. Ob Josef und Elisabeth Kopp in verwandtschaftlicher Beziehung zueinander standen, oder einfach nur Namensvettern waren, wissen wir nicht.

Katharina Kalbacher begleitete ihren Vater auch auf Jahr- und Wochenmärkten und kannte die Gegend als auch die Krämer, Hausierer und Marktfahrer aus der Gegend. Einige Personen aus dem Umfeld der "Schlifferlin" zogen ihren Neid oder Hass auf sich mit fatalen Folgen für alle Betroffenen.


07. August 1737
Die 16 jährige Katharina Kalbacher bezichtigt sich vor den Zuger Behörden der Hexerei.

09. August 1737
Aufgrund ihrer Denunziationen werden die 40 jährige Krämerin Katharina Gilli aus Salenstein (TG), die vier Schwestern Katharina (34), Anna Maria (37), Teresa (40) und Margreth Bossard (42), sowie deren Tante Elisabeth Bossard (70) verhaftet, verhört und gefoltert.
Die Bossardschwestern sind Töchter des Zuger Stadttorwächters Beat Jakob Bossard.

05. September 1737
Katharina (34), Teresa (40), Margreth (42) und Elisabeth Bossard (70) werden aufgrund ihrer Geständnisse zum Tode durch "lebendig verbrennen" verurteilt.

12. September 1737
Die vier obgenannten werden dem Zuger Nachrichter (Scharfrichter) Josef Grossholz übergeben und am Zuger Hochgericht lebendig verbrannt (1). Drei von ihnen (Katharina, Margreth und Elisabeth Bossard) werden auf dem Weg zur Richtstätte mit glühenden Zangen "gezwickt". Margreth Bossard wird zusätzlich "mit feurigen Zangen" die Zunge aus dem Mund herausgerissen.

19. September 1737
Anna Maria Bossard (39) vermag der Folter nicht mehr zu widerstehen. Auch sie gesteht und besiegelt damit Ihr Todesurteil.
Gleichzeitig bleibt die vom Verkauf von Liedern und Kalendern lebende Krämerin Katharina Gilli standhaft und beteuert ihre Unschuld. Sie stirbt später im Gefängnis an den Folgen der Folter.

15 Oktober 1737
Katharina Kalbacher sagt aus, dass ihr in den Sinn gekommen sei, dass auch der Schumacher Josef Markus "Marx" Stadlin (1686-1750), dessen Frau Anna Maria Petermann (56) und die 18 jährige Tochter Stadlins aus erster Ehe, Maria Euphemia Stadlin zum Hexenstand gehören. Alle drei werden verhaftet und verhört. Stadlin und seine Tochter bleiben standhaft, Anna Maria Petermann gesteht.

21. Oktober 1737
Auf Denunziation der "Catharina Calbacherin" hin wird in Beromünster die Magd Elisabeth Kopp verhaftet und auf einem Karren gebunden nach Luzern gebracht. Auch sie muss eine ganz willensstarke Frau gewesen sein und beteuert standhaft ihre Unschuld.

30. Oktober 1737
Anna Maria Bossard (37) und Anna Maria Petermann (56) werden in Zug lebendig verbrannt.

November 1737
Katharina Kalbacher wird auf Bitten der Luzerner Obrigkeit zwecks Befragung nach Luzern gebracht. Die Luzerner übernehmen die Kosten und es wird vereinbart, dass Katharina Kalbacher nicht gefoltert werden darf. Katharina Kalbacher benimmt sich ungehörig (2), verstrickt sich in Widersprüche und erregt Misstrauen.
Derweil Elisabeth Kopp weiterhin tapfer der Folter widersteht und ihre Unschuld beteuert.

2. Dezember 1737
Katharina Kalbacher, deren Aussagen falsch und verlogen seien, wird von der Luzerner Obrigkeit nach Zug zurückgeschickt. Elisabeth Kopp wird als Invalide aus der Haft entlassen. Ihre Ehre wird nicht wiederhergestellt.
(Der Prozess gegen Elisabeth Kopp ist der letzte Hexenprozess in Luzern).

13. Dezember 1737
Elisabeth Kopp's Bruder gelangt mit der Bitte um eine Beisteuer für seine Schwester an die Obrigkeit. Elisabeth sei nicht mehr in der Lage "ihr Brod mit ihrer Handarbeith" zu verdienen. Das Gesuch wird abgelehnt.

16 Dezember 1737
Katharina Kalbacher wird in Zug hingerichtet. Aus Gnade oder zum Dank für die stets gute Kooperation wird sie nicht lebendig verbrannt, sondern mit dem Schwert enthauptet.
(Katharina Kalbacher ist die letzte Hexe, die in der Innerschweiz hingerichtet wird.)

23 Januar 1738
Die Thurgauerin Katharina Gilli bricht während eines Verhörs zusammen und stirbt fünf Tage später im Gefängnis an den Folgen der Folter.

Daraufhin sieht sich die Zuger Obrigkeit (endlich) veranlasst den Prozess abzubrechen. Markus und Euphemia Stadlin werden freigelassen, nachdem man sich ihre Verschwiegenheit zugesichert hat. Beide Freigelassenen sind für die Zeit ihres Lebens durch die Folter gezeichnet, vor allem Euphemia Stadlin.

1742
Josef Markus Stadlin heiratet noch einmal und stirbt 1750.

1737-1747
Die "kranke und lahme" Maria Euphemia Stadlin wird von der Zuger Obrigkeit durch Almosenzahlungen unterstützt. Wegen Ihres "ellenden" Zustandes wird ihr erlaubt, sich noch 1747 bei Nachrichter Grossholz kurieren zu lassen (wohlgemerkt: Derselbe der sie gefoltert hat!).

Jetzt bleibt die Frage nach dem Warum. Was haben all die Denunzierten der Katharina Kalbacher getan, dass sie ihnen das angetan hat? War sie schwachsinnig oder verrückt?
Gemäss Philippe Bart's Forschungsarbeit, der Quelle dieses Beitrags, ist pubertärer Geltungsdrang, ein starker Hang zur Selbstinszenierung und allenfalls Rachegedanken die wahrscheinlichere Erklärung für die Selbstanklage der Katharina Kalbach.

(1) Die Hinrichtungsstätte in Zug befand sich bei der heutigen SBB Station Zug Schutzengel.

(2)  Gemäss Kundschaft vom Stadtdiener Josef Anton Stalder (1) steht in den Akten vom 23. November 1937: Als er Katharina Kalbacher in ihr Nachtgemach führen wollte, hätte diese "geschruwen und gewütet". "Es woll nit in disem Saustall bliben [...] es sy zu Zug recht ghalten worden".
(Der Name von Josef Anton Stalder taucht 1759 wieder in den Akten auf. Diesmal als Hauptangeklagter beim Raub des Luzerner Staatsschatzes).


Quelle: Bart Philippe, Hexenverfolgungen in der Innerschweiz 1670-1754, Der Geschichtsfreund 158. Band, 2005.