Das Berufsethos des Nachrichters

Aufziehen oder Streckfolter, Zentralbibliothek Zürich
Aufziehen oder Streckfolter, Zentralbibliothek Zürich.

Wie jeder gute Handwerker war auch der Scharfrichter bemüht, saubere Arbeit zu leisten. Gefoltert werden durfte nur so weit, wie es zweckdienlich war – nicht tödlich. Der Nachrichter musste peinlich darauf achten, dass die Gefolterten nicht starben, damit sie der gerechten Strafe zugeführt werden konnten.

Nötigenfalls hatte er sie sogar zu verarzten, wodurch er sich medizinisches Wissen aneignete.

Während den Ärzten zu dieser Zeit das Sezieren verboten war, erwarben die Nachrichter zahlreiche Kenntnisse der Anatomie und der Medizin. Dieses wertvolle Wissen nutzten sie in Kriegszeiten oft auch als Wundärzte auf dem Schlachtfeld. Sie gaben diese Kenntnisse an ihre Söhne weiter.

Ein Meister Leonard Vollmar war es, der 1782 in Glarus Anna Göldi aus dem Sennwald als letzte „Hexe“ enthauptete. Meister Vollmar bat die Gnädigen Herren damals, man möge ihm gestatten, seinen 19-jährigen Sohn mitzunehmen, „der gerne lernen möchte, wie die Sache vor sich gehe“.

Die höchste und ehrenvollste Aufgabe des Nachrichters war die Kunst der Schwertenthauptung.
Diese musste mit einem einzigen Schlag erfolgen, der den Kopf vollständig vom Rumpf trennte – so, dass ein Wagenrad dazwischen hindurchfahren konnte. Die Söhne der Nachrichter übten dies an Tieren.

Ein guter Nachrichter war sich der Schwere seiner Aufgabe bewusst und führte sie sachlich, ernst und nach festgelegtem Ritual aus.



Der große Auftritt


Die Enthauptung des heiligen Mauritius, Ausschnitt Martiniplan 1597
Die Enthauptung des heiligen Mauritius, Ausschnitt Martiniplan 1597


Man stelle sich vor: Hunderte von Menschen wohnen der Hinrichtung bei. Der Richter, der Nachrichter und der Verurteilte stehen erhöht auf dem Kallenberg (Schafott).

Der Nachrichter legt die Hand auf die Schulter des Verurteilten und fordert ihn auf, niederzuknien.

Dann stellt er sich hinter ihn halblinks, macht einen Ausfallschritt nach rechts und hebt das Richtschwert.

Das ist der Moment des Nachrichters.

Hunderte Augen sind auf ihn gerichtet.
Totenstille.
Er atmet tief aus, die Muskeln spannen sich, das Adrenalin schießt durch seinen Körper.

Er blickt zum Ratsrichter.
Ein Nicken.

Dann –
Sfffft.
Ein fast unhörbares Pfeifen zerschneidet die Luft.
Tschack.
Ein kurzes, feuchtes Geräusch. Der Körper sackt zusammen.
Dock – – Dock – Dock.
Das dumpfe Poltern des abgeschlagenen Kopfes über den Kallenberg.

Die Menge schreit und jubelt. Für den Nachrichter ist es ein Rausch.
Jetzt ist er der König – für einen Moment der absolute Superstar.
Er genießt diesen Augenblick, wohl wissend, dass er im nächsten wieder der Ehrloseste unter den Ehrlosen sein wird: der Geächtete, der Ausgestoßene.


Siehe auch:        Die Richtstätte Sentimatt Luzern

                         Die Hinrichtungsarten im alten Luzern